Traducción y adaptación del francés al alemán

Bürgerproteste in der Türkei
Die anhaltenden Proteste gegen die Erdogan-Regierung stehen für ein neues politisches Bewusstsein großer Teile der Zivilbevölkerung und einen demokratischen Aufbruch am Bosporus, meint die renommierte türkische Soziologin Nilufer Göle.
Seit Wochen hält sich der Protest gegen die Bauvorhaben und die Politik der Erdogan-Regierung in allen großen Metropolen der Türkei – Proteste, die inzwischen den Charakter von flächendeckenden städtischen Aufständen annehmen.

Selbst die oftmals gewaltsamen Interventionen der Polizei können die Menschen nicht davon abhalten, auf die Straßen zu gehen und zu demonstrieren. Andere Einwohner stehen auf ihren Balkonen und begleiten die Protestgesänge mit rhythmischen Schlägen auf Kochtöpfen. Dabei gelingt ihnen, ihren Unmut über das Erdogan-Regime auf friedliche Weise und jenseits politischer Parolen Ausdruck zu verleihen.

Trotz des zunehmenden Polizeieinsatzes gegen die tobenden Massen ist dieser durch junge Menschen initiierte Aufstand in den Städten, dem sich mittlerweile auch die Mittelschicht und viele Frauen angeschlossen haben, nicht zu bremsen. Die Wolken aus Tränengas, die über den Himmel ziehen und sowohl ein Zeichen der Luftverschmutzung als auch der Unterdrückung darstellen, bewirken bloß, dass die Wut der normalen Bürger noch größer wird.

​​Die moralisierenden Eingriffe in die Lebensweisen der Bürger haben zweifelsohne zugenommen. Die jüngsten Regelungen, die das Verbot des Verkaufs von Alkohol vorsehen, sowie das Verbot von jeglichen Bildern, Werbungen, oder Filmszenen, die zum Konsum von Alkohol verleiten könnten, waren ein Auslöser. Studenten, Kaufleute und vor allem Schauspieler, Sänger und Regisseure wurden aktiv, da sie eine Einschränkung ihrer individuellen und künstlerischen Freiheiten befürchteten.

Politik der eisernen Hand: Demokratie à la Erdogan

Zudem hat der ausufernde autoritäre Machtanspruch und der moralisierende Stil sowie Diskurs Erdogans die öffentliche Meinung tief gespalten und beleidigt. Erdogan weist seine Gegner zurecht, indem er sie als „Außenseiter“, „Taugenichtse“ oder „Säufer“ beschimpft. Sein verachtendes Vokabular sorgte für kollektive Empörung.

Nicht zuletzt provozierte er mit einem neuen Brückenprojekt über dem Bosporus, eine Brücke, die den Namen Yavuz Sultan Selim tragen soll, was Reminiszenzen an die Massaker an den Aleviten wachruft. „Respekt“ lautet denn auch der neue Slogan, den man auf den Mauern in vielen Städten prangen sieht und der den Schutz privater und öffentlicher Freiheiten einfordert.

In den letzten Jahren hat sich die Regierungsform zunehmend in eine Alleinherrschaft verwandelt, ähnlich wie in der Zeit des Sultanats. Erdogan hat vom Mehrheitsrecht und von der Abwesenheit einer wahrhaftigen politischen Opposition profitiert und hat nicht gezögert, die wichtigsten Entscheidungen selbst zu treffen, ohne die nächsten Betroffenen, die Bürger oder sein eigenes politisches Umfeld darüber zu informieren. Nun wendet sich dieses persönliche Machtstreben, das im öffentlichen Raum sichtbar ist, gegen ihn und beschwört die Wut gegen seine Person herauf.

Das Verbot der Redefreiheit, die Bestrafung der politischen Gegner, insbesondere der Journalisten, die ihre Arbeit verloren haben und Pressehäuser, die ihre politische Linie ändern mussten, haben den öffentlichen Diskurs stark eingeschränkt. So wurden die letzten Demonstrationen auf dem Taksim-Platz von den wichtigsten Fernsehsendern nicht ausgestrahlt.

Gibt es einen „Türkischen Frühling“?

Einige politische Beobachter assoziieren die Demonstrationen in der Türkei mit dem „Arabischen Frühling“, mit den Protesten auf dem Tahrir–Platz in Kairo, als Ausdruck für die Wut der Bevölkerung auf das autoritäre Mubarak-Regime. Andere sehen Parallelen zu den Protesten von europäischen Globalisierungsgegnern gegen die internationalen Wirtschaftsmächte. Die türkische Protestbewegung beinhaltet ähnliche aber auch spezifische Elemente. Wie in den beiden genanten Fällen handelt es sich in der Türkei um eine öffentliche Protestbewegung.

​​Dort wo der „Arabische Frühling“ die Stimme der Mehrheit in der Demokratie fordert, wendet sich die türkische Protestbewegung gegen die Tyrannei der Mehrheit. Während die europäischen Aktivisten durch die Wirtschaftskrise geschwächt wurden, sind die türkischen Nachbarn mit einer spezifischen Form des Kapitalismus „übersättigt“.

Die Ursache für das Entstehen der türkischen Protestbewegung lässt sich nur im ursprünglichen Kontext begreifen. Denn die Verteidigung einiger Bäume im öffentlichen Gezi-Park in Istanbul ist nicht einfach nur ein Vorwand für das öffentliche Aufbegehren. Vielmehr hat das Projekt der Zerstörung des Parks zugunsten des Baus eines Einkaufszentrums ein neues kritisches Bewusstsein geweckt.

Das Erwachen eines neuen kritischen Bewusstseins

Die Besetzung des Gezi-Parks reflektiert den Widerstand gegen die städtischen Baumanahmen der letzten zehn Jahre. In der Türkei hat der Kapitalismus eine materielle Gestalt angenommen, etwa in Form von Shopping-Malls, als Symbole des globalen Finanzkapitalismus, die sich der Kontrolle und Zustimmung durch die Bürger entzogen hat.

Türkische Bürger, die dem wirtschaftlichen Aufschwung in ihrem Land zu Beginn enthusiastisch entgegensahen, zeigen nun Besorgnis über den unersättlichen Konsumrausch, der die städtische Umgebung, das Zusammenleben und die öffentlichen Plätze vernichtet. Die Zerstörung des Gezi-Parks und dessen Umwandlung in einen Ort des Konsums bedeutet in den Augen der Bewohner die Beschlagnahmung der öffentlichen Plätze durch den privaten Kapitalismus.

In dem Moment, in dem das Schweigen über den armenischen Völkermord in der Öffentlichkeit gebrochen wurde, die Armee sich aus dem politischen Leben zurückgezogen hat und allmählich die Zeit gekommen ist, auch mit den kurdischen Nationalisten Frieden zu schließen, kündigt diese Protestbewegung die Notwendigkeit einer neuen öffentlichen Kultur an, die auf Anerkennung ihrer Rechte, und dem friedlichen Zusammenleben der Menschen basiert.

Diese Protestbewegung, die Polarisierung und Stigmatisierung ablehnt, verbindet Menschen über ehemalige Meinungsdifferenzen hinweg. Es handelt sich zwar um eine vorwiegend säkuläre Bewegung, die jedoch von jeglicher repressiven Form des Laizismus Abstand nimmt.

Das Credo dieser nach Freiheit und Einheit strebenden Protestbewegung ließe sich mit den Worten des berühmten türkischen Dichters Nazim Hikmet auch wie folgt zusammenfassen: „Lebe wie ein Baum alleine und frei, lebt als Brüder wie die Bäume eines Waldes“.

Nilüfer Göle

© Le Monde 2013

Nilüfer Göle ist Soziologin an der „Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales“ in Paris.

Übersetzt aus dem Französischen von Julie Schwannecke

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de

Léa el original de la traducción aquí.


 

Le jardin Gezi occupé voit refleurir la liberté

Französischer Originalartikel aus „Le Monde“

Depuis une semaine, les mouvements de protestation se propagent dans toutes les grandes villes de Turquie, s’apparentant à une insurrection urbaine et généralisée. Malgré les interventions de la police, souvent très violentes, les gens n’hésitent pas à descendre dans les rues. D’autres habitants, sur leurs balcons, participent en famille au chorus de la protestation, en tapant sur des casseroles. Ils trouvent des moyens de protestation pacifique, sans slogans politiques pour exprimer leur „ras-le-bol“ contre le règne du premier ministre Recep Tayyip Erdogan.

Un mouvement urbain, commencé par des jeunes, suivi par les classes moyennes, avec une forte présence de femmes, qui ne faiblit pas malgré le déploiement des forces de police anti-émeute. Les nuages de gaz lacrymogène qui voilent le ciel et sont autant une pollution qu’un symbole de l’oppression ne font qu’accroître la colère des citoyens ordinaires.

La restriction des libertés d’expression et la pénalisation des opposants, notamment des journalistes, qui ont perdu leur travail, et de la presse, qui a changé sa ligne éditoriale, a muselé la parole publique. Les dernières manifestations à Taksim n’ont pas été couvertes par les principales chaînes de télévision.

Les intrusions moralisantes dans les modes de vie des citoyens se sont multipliées. Les derniers règlements visant la restriction de la vente d’alcool et l’interdiction de toute image, publicité ou scène de film qui inciterait à la consommation d’alcool ont été un déclic. Etudiants, commerçants et surtout comédiens, chanteurs et metteurs en scène se sont mobilisés, craignant une entrave à leurs libertés, individuelle et artistique.

Au-delà de la dérive autoritaire et moralisante du pouvoir, c’est le style et le discours d’Erdogan qui ont profondément offensé l’opinion publique. Il blâme ses opposants en les qualifiant de marginaux , de voyous ou encore d‘ ivrognes . Son vocabulaire méprisant suscite l’indignation collective. Il fait scandale en donnant au nouveau pont du Bosphore le nom de Yavuz Sultan Selim, qui évoque les massacres des alevis. La revendication du respect , ce mot devenu slogan et tagué sur les murs des villes, exprime l’exigence du retour à la civilité dans la vie publique en Turquie.

Le mode de gouvernance a subi, ces dernières années, une personnalisation qui rappelle le sultanat. Devenu majoritaire, sans opposition politique importante, Erdogan n’hésite pas à prendre des décisions seul, sans daigner consulter ni les principaux concernés, les riverains, ni son propre entourage politique. Cette personnalisation du pouvoir, qui passe par son omniprésence dans l’espace public, se retourne contre lui aujourd’hui et cristallise toute la colère contre sa personne.

Pour certains, à l’instar d’un „printemps arabe“, ces manifestations ressemblent à l’occupation de la place Tahrir et indiqueraient la colère de la population contre le régime politique autoritaire. Pour d’autres, ces mouvements montrent des parallèles avec ceux des „indignés“ d’Europe contre les puissances économiques globales. La contestation turque porte en elle des éléments communs mais aussi spécifiques. Comme dans les deux précédents cas, le mouvement turc se manifeste comme un mouvement public.

Mais si le „printemps arabe“ revendiquait la voix de la majorité dans la démocratie, le mouvement turc se dresse contre le majoritarisme démocratique. Alors que les „indignés“ européens sont précarisés par la crise économique, les riverains turcs sont saturés du „trop plein“ d’un certain capitalisme.

Il faut chercher le sens de la protestation dans son moment originel. Défendre quelques arbres dans le jardin public Gezi à Istanbul n’est pas qu’un simple prétexte de contestation politique. Le projet de destruction du jardin au profit de la construction d’un centre commercial a éveillé une nouvelle conscience critique. L’occupation de Gezi exprime la résistance à l’égard du mode d’aménagement urbain en cours depuis les dix dernières années. En Turquie, le capitalisme s’incarne dans les centres commerciaux, devenus les symboles concrets de ce capitalisme global et financier qui échappe à l’emprise du citoyen. Le riverain turc, enthousiaste au début de l’essor économique, est aujourd’hui critique face à l’insatiabilité du consumérisme qui détruit l’environnement urbain, le vivre-ensemble et la place publique. Raser, transformer le jardin Gezi en lieu de consommation signifie, aux yeux des habitants, la confiscation de la place publique par le capitalisme privé.

Au moment où le tabou sur le génocide arménien tombe, où il est question de faire la paix avec les nationalistes kurdes, où l’armée s’est retirée de la vie politique, ce mouvement annonce la nécessité d’une nouvelle culture publique de reconnaissance et de rassemblement. L’avenir de la démocratie en Turquie réside dans le credo de ce mouvement, qui appelle le pouvoir à tenir sa langue, à contenir sa volonté d’intrusion morale et à bannir la violence. Contre la politique de la polarisation et de la stigmatisation, le mouvement réunit au-delà des anciens clivages. De sensibilité majoritairement séculière, il n’adhère pas pour autant à une laïcité répressive. Le poème de Nazim Hikmet résume l’âme de ce mouvement libertaire et rassembleur : „Vivre comme un arbre seul et libre, vivre en frères comme les arbres d’une forêt.“

 

LE MONDE | • Mis à jour le | Par Nilüfer Göle (Sociologue à l’Ecole des hautes études en sciences sociales)

 

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